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Was — (k)ein Miteinander?!

In welcher Gesellschaft werden wir bald wie zusammenleben, wenn wir uns auf vielen Ebenen so viel vorwerfen? Krisenbewältigung heißt auch Miteinander. Bei allen krassen Differenzen, halte ich das für einen extrem relevanten Punkt. Aber was ist eigentlich genau jetzt los? Wohin gehen wir? Was führen wir für einen Diskurs? Und: Führen wir überhaupt noch einen?

Patrick Figaj
4 min readNov 22, 2021

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Was für ein seltsames Gefühl.

Eines von bereits geführten Diskussionen, bereits gesprochenen Gesprächen, bereits gewonnenen Erkenntnissen, bereits gesagten Sätzen, bereits beklatschten Leistungen, bereits gefällten Entscheidungen. Und dennoch liegt da ein leeres Blatt. Es ist nicht weiß, es ist schwarz. Es ist so vollkerkritzelt mit lauten Sätzen, dass im Grunde gar nichts mehr zu lesen ist. Einzele Buchstaben. Vielleicht mal ein Wort. Ein Ansatz. Ohne Chance auf Lesbarkeit.

Wer heute medial hinhören möchte, den gesellschaftlichen Austausch sucht, die Chance auf Dialog. Wird enttäuscht. Immer wieder. Zu laut schreit sich die vermeintlich Gute und weniger Gute Seite ins Gesicht. Grätschen ewig Gestrige Debatten ab. Drücken Lauthälse ungehemmt auf Einsen und Ausrufezeichen voller Widerspruch1!!!1111!!! Talkshows versuchen die Sehnsucht nach richtigen Antworten in halbwegs gerade Bahnen zu lenken, ehe sich Gäste ins Wort fallen. Wir hören hin. Und doch nicht zu. Aber auslachen ist okay. Sachlicher Austausch taucht in die Nische ab.

Ein Zustand, der vor der Tür nicht auffhört. Wo kaum längere Gespräche möglich sind, weil die vernünftige Vernunft des Abstands zum Smalltalk zwingt, wird auch der gesellschaftliche Austausch eingeschränkt. Digitale Kommunikation ist möglich. Auch ermüdend.

Und plötzlich ist uns alles so vertraut. Wir sind nämlich wieder an jenem Punkt, an dem wir nicht mehr sein wollten. Dabei wussten wir es doch besser. Nein. Wir wissen es besser. Wie wir einer Pandemie aus dem Weg gehen könnten. Wir haben alles beisammen. (Besser als in diesem Text wird’s nicht mehr) Und stehen uns aus den unterschiedlichsten Gründen selbst im Weg. Nicht zum ersten Mal. Nur zum — sagen wir — “deutlichsten” Mal.

Denn der Moment, an dem wir jetzt sind, in diesem November 2021, hält uns vielleicht auch als Gesellschaft ziemlich klar den Spiegel vor, wie weit Anspruch und gewollte Wirklichkeit auseinandergefallen sind. Die große Mehrheit der Menschen würde sicher folgenden Satz unterschreiben: Von der Politik wünschen wir uns eine klare Idee, wie wir die Zukunft besser machen können. Für möglichst viele. Wer sollte dem widersprechen? Doch:

Wir fordern Visionen. Nennen politische Vordenker aber Träumer.

Und so driftet mögliche Veränderung ins Abseits. Schauen wir in den Osten. Da gucken wir im Moment ziemlich oft hin. Da zeigen wir immer öfter mit dem Finger. Tippen, klicken auf Landkarten. Mahnen Inzidenzen an. Die höher sind, als an anderen Orten dieser Republik. Ja. Es läuft nicht alles richtig. Aber:

Wir verabscheuen Ausgrenzung, pauschalisieren dennoch ganze Landstriche.

Dabei verlangt Komplexität Differenzierung. Die ehrlich auseinanderdividiert, wo Ursache und Wirkung liegen. Plötzlich rauschen komplexe Nachrichten aus dem Osten Europas an uns vorbei. Mal in der Mitte einer Nachrichtensendung. Mal lauter, mal leiser. Ein Kommen und Gehen verschwommer Stacheldrahtgeschichten. Schwieriger politischer Zusammenhänge an EU-Außengrenzen. Belarus. Ein Land, dessen Name und Machthaber man kennt. Vielleicht. Wir wollen ein schönes, ein gleiches, faires, offenes System— ein Kontinent der Vielen. Der Werte. Nur:

Wir plädieren für ein freies Europa. Scheitern aber an Außengrenzen. Immer wieder.

Starren verstört in Lager. An kalte Mittelmeerstrände. Lösen könnte das alles ein ehrlicher Aufbruch.

Wir wünschen uns doch so sehr Veränderung. Das sich mal was tut. Ideen gibt es. Technischen Fortschritt. Dieses Land bringt noch immer tolle Ingenieure hervor. Wir können wahnsinnig innovativ sein und Chancen bieten, wenn wir wollen. Ja wir sind…schon…also wir spielen international. Also maden in Germany ist noch etwas wert. Doch:

Wir fordern Kompromisse, lehnen aber ausgleichende Ergebnisse ab.

Falsch verhandelt. So kann man’s nicht machen. Da verliert man ja sein politisches Gesicht! Retten wir uns also ins Ungefähre. Wie wäre es mit einem willkommenen Maßnahmenpaket. Gut geschnürt. Das hat noch keinem geschadet. Wir wollen das dann so machen. Müssen aber noch die Details besprechen. Es wird sich klären. Seien sie beruhigt. Die Gespräche stehen da noch ganz am Anfang. Eine gute Entscheidung braucht auch Geduld. *Ironie off. Stellen wir sie auf die Probe:

Wir glauben an eine bessere Zukunft für die kommenden Generationen, lassen sie aber im Zweifel an der langen Leine.

Jede Generation hatte ihre Bewegung. Machen wir uns nichts vor. Oder doch. Nur: Die Klimafrage wird sich nicht von alleine lösen. Nein. Sie wird es nicht! Eine alternde Gesellschaft. Wird nicht von alleine jünger. In einer komplexen Welt, voller internationaler Beziehungen. Sich verändernder Kräfteverhältnisse. Schneller Entscheidungen. Globaler Player. Großer Nationen. Mit noch größeren Industrien. Wird sich nicht alleine ein aussichtsreicher Platz finden lassen.

Im Flur hallt die Tür. Unten schmeisst jemand schon wieder Werbung in den Briefkasten. Trotz Aufkleber. Der Winter wird vielleicht nicht so kalt. Immer diese Heizkosten. Hoffentlich wird das am Ende nicht zu liberal. Sozial. Ja. Aber was das kostet…Draußen brummen die Rotoren unbeliebter Windräder.

Klein. Klein.

Wenn uns eines gerade einschränkt, dann sind es eben nicht strengere Corona-Regeln. Und teilweise auch wirklich harte Einschnitte in unseren gewohnten Alltag. Unser Leben. Wenn uns eines gerade einschränkt, dann sind es wir. Wir selbst. Ganz alleine. Die Ideen zerreden. Keinen gemeinsamen Ton finden. Visionen zerschlagen. Chancen vertun. Misstrauen säen. Die Fähigkeit zum gegenseitigen Vertsändnis verlernt zu haben scheinen. All das wird sich nur ändern, wenn wir mutigere Entscheidungen unterstützen. Auch Widersprüche zulassen können. Und Neuem Zeit geben, sich zu entwickeln.

Nur dann kommen wir wieder gemeinsam voran.

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Patrick Figaj
Patrick Figaj

Written by Patrick Figaj

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