Der Krach der Unentschlossenen.
Dagegensein ist einfach, wenn die Entscheidungen am Ende doch andere treffen und aushalten müssen. Der Protest der Unwilligen, Unbelehrbaren und Unentschlossen wiederholt sich. Und dennoch hilft es nichts, sich wegzudrehen.
2016 stand ich fassungslos in einem Schützenhaus, um lange nur hinter vorgehaltener Hand Gesagtes mitzuschreiben. Rechtsaußenstehenden war noch nicht ganz klar, wie weit es am Ende für sie führen könnte. Man gab sich offen für viele gesellschaftliche Positionen. Aber der Hass wurde bereits wieder gesät. Eine Abneigung gegen Menschen anderer Herkunft, egal welcher, die wieder frisch angezapft wurde. Im ersten Schritt wirkte das wie ein Versuchslabor: Sagen was vermeintlich ist. Was alles falsch läuft in diesem Land. Aber wie selbstverständlich: Ohne konkrete Lösungsansätze zu geben. Außer einem:
Schuld sind immer die anderen.
Dieses Muster hat sich fortgesetzt. Unentschlossene, sich von der Politik nicht mehr ernst genommene Menschen strömten in Festzelte, Gaststättenhinterzimmer, verstaubte Stadthallen. Um sich alte Parolen in neuem Sound zu gönnen.
Der Rest ist bekannt. Warum gesellschaftliche Strömungen mal stärker und mal schwächer in extreme Schwanken. Welches Potential dahinter steckt. Angst, Unsicherheit, Komplexität. Gründe gibt es viele.
Proteste verlagerten sich auf die Straße. Werden im Netz zugespitzt. Parteiveranstaltungen endeten oft in abgeschirmten Demo-Gegendemo-Schnaubereien. Was sich etwas abgeschwächt hat. Der Protest über die Parteifarbe ist aber kein Protest mehr. Ein blaues Wunder erleben wir bei den vergangenen Wahlen immer seltener. Eher einen Status Quo. Und das Wissen darum: Wer hier entschlossen das Kreuzchen macht, sympathisiert mit den Gegnern des politischen Betriebs.
Aber die Unentschlossen sind immernoch da. Sie sind weniger greifbar, als vielleicht vor zwei oder drei Jahren noch gedacht. Die Gruppe ist weitaus heterogener als erwartet. Ein Bund der Abgehängten, ewig Gestrigen? Eher nicht. Ein braunes Überbleibsel, dass vorübergehend erstarkt? Nur in Teilen. Nach Flucht — und anschließender Abwehrhaltung, Frust — und blauem Alternativgeschwurbel, wirbelt jetzt eine noch viel weniger greifbare Gruppe Städte und Stadtgesellschaften auf.
Es sind Gegner des Politischen.
Oder vielmehr: Gegner des demokratischen Diskurses. Kompromissunwillige. Gegner eines Prozesses, der unbequem, lang, unbefriedigend, aber doch immerhin mehrheitsfähig sein kann. Im besten Fall. Menschen, die jetzt Transparente mit Journalisten in Sträflingsanzügen hochalten. Musiker und vermeintlich Prominente, die in die Untiefen verschwörerischer Parallelwelten abdriften. Extreme, die sich in frischen Kleidern unter Kurzsichtige mischen. So unterschiedlich diese Gruppen sein mögen.
All sie eint das Unentschlossene. Schon wieder.
Der Mangel an Vorstellungskraft, aus gemeinsamer Verantwortung heraus gesellschaftliche Schwierigkeitem zu lösen. Denn Schuld sind wiedermal andere.
Erst vor kurzem habe ich mir eine Demo gegen Maskenpflicht aus einiger Entfernung angesehen. Nicht zu verurteilen, so lange man sich an Abstand und Hygieneregeln hält. Argumente neutral vorträgt. Und Masken trägt. Was sich aber alles aufgrund der Intention der Menschen natürlich von vorne herein ausschließt.
Das Gesagte dieser Zusammenkunft ist überall digital abrufbar. Berechnend und immer gleich. Breit vernetzte Antreiber provozieren mit haltlosen, immer wieder widerlegten, und mehrfach Fakten-gegengeprüften Falschbehauptungen. Schmettern durch Echokammern. Und ködern erneut die Unentschlossenen. Wieder einmal.
Diejenigen, denen alleine die Gegenposition zur demokrtisch legitimierten Entscheidungsebene ausreicht. Ein Mangel an eigenen Argumenten stört nicht. Wer mit abwägenden Worten arbeitet, verliert.
Ein scheidender US-Präsident lässt tobend grüßen.
Und dennoch reicht es nicht, an dieser Stelle hinzuschmeißen. Die Ebene mag schwieriger werden. Die Ohren tauber. Die Unentschlossenen lauter. Verstörender. Aggressiver.
Aber die große Mehrheit ist weiter still. Vielleicht stiller denn je. Zu ruhig, mag mancher denken. Vorwerfen. Jeder hat da seine eigenen Gründe. Mit Gleichgültigkeit hat das nichts zu tun. Sondern mit Müdigkeit.
Müdigkeit einem immer wiederkehrenden Muster gegenüber: Dem Krach der Unentschlossenen entgegenzuwirken. Jenen nach Skandalbildern Lechzenden. Das nicht immer wieder zu verstärken und zu fokussieren, ist wichtiger denn je. Nicht aus Feigheit vor der Debatte. Sondern zum Schutz einer überzeichneten Gegenwart. Wenn gefährliche Anheizer ohne konstruktiven Austausch Unentschlossene für sich instrumentalisieren, um so in kruden Online-Kanälen zu dominieren, erreichen sie am Ende ihr Ziel. Unfrieden zu stiften.
Wenn dagegenhalten mit Argumenten nicht weiterführt, ist es der Fokus auf wichtigere Themen, der uns voranbringt. Nicht die Auseinandersetzung mit faktendesinterssierten Keiltreibern. Um am Ende auch für diejenigen wieder ein Vorbild sein zu können, die sich für den ernsthaften und konstruktiven Gedankenaustausch interessieren.